Nach dem brutalen Überfall auf den SPD-Politiker Matthias Ecke in Dresden ist das Entsetzen groß. Für den sächsischen Aktivisten Jakob Springfeld, Mitglied der Grünen, ist die Tat jedoch keinesfalls ein Einzelfall. “Dass ein brutaler Gewaltakt dieser Art nun auch in Dresden, einer Großstadt, möglich ist, zeigt den Ernst der Lage”, sagt er im Interview.

ntv.de: Herr Springfeld, Sie haben im Frühjahr 2021 in einem emotionalen Statement auf X ihre Angst offenbart, Opfer politischer Gewalt zu werden. Es endete mit dem Satz: “Ich schaue aus meinem Fenster, hoffe, dass ich wenigstens zu Hause sicher bin.” Hat sich seither etwas geändert?

Jakob Springfeld: Nein, das Gegenteil ist der Fall, was auch damit zu tun hat, dass ich jetzt viel bekannter bin als damals. Via Mail oder soziale Medien bekomme ich üble Gewaltdrohungen, mal offen, mal verkappt. Mich schützt, dass ich inzwischen nicht mehr so häufig in meiner Heimatstadt Zwickau bin und in Halle an der Saale studiere. Die Angst aber ist da, ein ständiger Begleiter. Und sie betrifft nicht nur mich, sondern schließt Freunde und alle anderen ein, die sich gegen rechts positionieren. Die Gefahr ist real, wie die Gewaltfälle in Dresden zeigen.

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Bundesinnenministerin Nancy Faeser spricht von einer “neuen Dimension antidemokratischer Gewalt”. Wenn man hört, was Sie berichten, verwundert das.

Neue Dimension? Das ist brutale Normalität im Osten! Die Neonazi-Partei “Dritter Weg” hatte vor der Bundestagswahl 2021 in Zwickau Plakate mit der Aufschrift “Hängt die Grünen” angebracht. Es ist überhaupt nichts Neues, dass Mitglieder demokratischer Parteien Angst haben müssen, wenn sie sich im Wahlkampf engagieren. Denken Sie an den NSU, Hanau oder den Mord an Walter Lübcke im Juni 2019. Ich frage mich, in der wievielten Dimension wir mittlerweile leben. Faeser und Finanzminister Christian Lindner, der den Anschlag auf Ecke ebenfalls verurteilt hat, sollen lieber viele Millionen in zivilgesellschaftliche Projekte investieren und ein AfD-Verbot prüfen. Ich fürchte sonst, dass es zur Normalität wird, die achselzuckend hingenommen wird, wie es jetzt schon bei Anschlägen auf Geflüchtete der Fall ist.

Was meinen Sie damit?

Einige Stunden vor dem Überfall auf Matthias Ecke wurde eine Unterkunft für Geflüchtete im Landkreis Zwickau mit Steinen angegriffen. Das ist nur noch eine Randnotiz in Lokalmedien, niemand empört sich. Dazu haben sich weder Faeser noch der sächsische Ministerpräsident Michael Kretschmer geäußert. Die Gesellschaft hat sich an diese Vorfälle gewöhnt, weshalb sich Normalisierung eingestellt hat.

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Sie sagten vor drei Jahren dem “Spiegel”: “Ich bin in Sorge, dass zivilgesellschaftliche Initiativen, die es gibt und gerade dringend braucht, früher oder später aufgeben und gar nichts mehr passiert.” Ist es so?

Nach der Debatte über die Pläne der AfD zur massenhaften Vertreibung von Migranten formiert sich endlich auch in ostdeutschen Kleinstädten Widerstand gegen rechte Umtriebe. Es wurde Zeit. Ich spüre deutlich, dass der Mut wächst. Klar aber ist auch: Überfälle wie der auf Matthias Ecke verbreiten Angst. Umso wichtiger ist es nun, dass die Bewegung nicht zum Erliegen kommt und die demokratische Gesellschaft zusammensteht.

  • Tartufo@lemmy.world
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    7 months ago

    Versuch aber mal den Leuten zu erklären, dass es hilft das Nest sauber zu halten, wenn man diejenigen die reinkoten dafür auch verantwortlich macht. Viele wollen einfach nicht verstehen, dass es nichts hilft, wenn man einfach nur ne Decke über die Scheiße legt. Im Gegenteil: Dabei wird nur auch noch die Decke dreckig. Und das nicht nur beim Thema Nazis…

    Ich habs mittlerweile nach Jahren aufgegeben, die Leute wollen es einfach nicht verstehen oder selber einfach keine Arbeit mit sowas haben.